Marketing-Personalisierung: Der Spagat zwischen sinnvollen und aufdringlichen Kampagnen
18. Januar 2023
|Wo ziehen Marketingexperten die Grenze zwischen einer pfiffigen Idee und schlichtweg gruseligen Aktionen, mit denen sie zeigen wollen, dass sie ihre Kunden kennen?
Das ist die zentrale Frage beim personalisierten Marketing: Wann ist etwas zu persönlich?
Es ist immer sinnvoll, Botschaften zu verwenden, die für den jeweiligen Kunden interessant sind. Denn keiner will wertvolles Marketingbudget für eine Flut von Botschaften und Bildern verschwenden, die aber die Zielgruppe kalt lassen. Nach Beschreibung des Analytikunternehmens Forrester ist “Personalisierung das A und O” und “das Ziel ist es, der richtigen Person zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort die richtige Botschaft zu übermitteln”. Das gilt gleichermaßen für B2B- wie B2C-Marketing. Doch gibt es ein Problem. Tamara Grominsky, Chief Strategy Officer bei Unbounce, beschrieb es kürzlich so: “anstatt die Konversionsrate mithilfe von kreativen, maßgeschneiderten Botschaften zu erhöhen, erfolgt die Personalisierung häufig in Form von ‘Hallo {vorname}!’ … und weiter nichts.” Als ich kürzlich in einem Interview gefragt wurde, welche Marketingtrends mich am wenigsten begeistern, musste ich bekennen, dass einer davon die Vorstellung ist, dass jemand mein Foto aus meinem LinkedIn-Profil kopiert hat, um daraus ein animiertes GIF für ein Kundengespräch zu machen. Solche Strategien sind Spielereien und wirken für meinen Geschmack eher ein wenig gruselig. Genau das ist der Punkt, an dem die Personalisierung entweder gelingt oder scheitert; es ist eine Frage des Augenmaßes. Gemäß einer Untersuchung von Epsilon von 2017 sind 80 % der Verbraucher eher bereit, etwas zu kaufen, wenn Marken personalisierte Erlebnisse bieten. Allerdings zeigt eine Studie von Gartner von 2019, dass “mehr als die Hälfte der Befragten sich von der Kommunikation eines Unternehmens abmelden und 38 Prozent der Befragten ihre Geschäftsbeziehung mit einem Unternehmen beenden, wenn sie Personalisierungsbemühungen als ‘unheimlich’ empfinden.” Geht man es falsch an, zahlt man einen hohen Preis. Es gibt tolle Beispiele für personalisierte Kampagnen, bei denen die Privatsphäre der Kunden respektiert wurde – diese haben das richtige Gleichgewicht zwischen einer pfiffigen Idee und einem übergriffigen Vorgehen gefunden – und andere, die zu viel riskiert haben. Aus beiden Ansätzen lassen sich praktische Lehren ziehen.
Was die Vergangenheit uns lehrt
Es lohnt sich manchmal, auf das erste große Beispiel zurückzublicken, bei dem etwas aus dem Ruder gelaufen ist, um sich die Lehren aus der Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen. Drehen wir die Uhr zurück zu einem Leitartikel des New York Times Magazine von 2012: Darin wurde beschrieben, wie die Auswertung der Daten zum Kaufverhalten von Kunden bei Target sich negativ auf einen Kunden ausgewirkt hat. Laut dem Artikel waren Kunden, die bestimmte Produkte kauften, mit hoher Wahrscheinlichkeit schwanger – also wurden ihnen Gutscheine für Umstandskleidung und Babyartikel nach Hause geschickt. Für den Vater eines Mädchens im Teenageralter war dies angeblich der erste Anlass, sich bei der örtlichen Filiale über die unangebrachten Coupons zu beschweren … bis er sich dann entschuldigte, nachdem er herausgefunden hatte, dass seine Tochter tatsächlich schwanger war. Fazit dieser Geschichte ist, dass Marken eine Grenze zwischen dem Persönlichen und dem Privaten überschreiten können. Bestenfalls zeigen Fälle wie dieser, wie sehr gute Absichten in die Hose gehen können. Schlimmstenfalls könnten Unternehmen die Daten ihrer Kunden zu Gesundheit und Wohlergehen auf eine Weise nutzen, der die Kunden nicht zugestimmt haben. Die heutigen Personalisierungskampagnen stehen zwar in einem anderen Kontext, doch bin ich davon überzeugt, dass die Fragen dieselben geblieben sind. Welche Informationen besitzen Sie über die Kunden? Wie haben Sie sie erlangt? Haben Sie das Einverständnis der Kunden, diese Informationen in der Form zu verwenden, wie Sie sie erreichen wollen? Ein Praxistipp ist, dass Sie klare Regeln für den Datenschutz und die Compliance festlegen müssen, die bestimmen, wie Ihre Personalisierungskampagne funktionieren soll.
Die Zukunft vorhersagen
Nennen wir sie ruhig beim Namen: Netflix, Amazon und Spotify sind Personalisierungsmaschinen. Natürlich bieten sie auch Inhalte, doch sie sind ebenfalls hervorragende Beispiele für maschinelles Lernen – Systeme, die die Vorlieben der Nutzer so gut verstehen, dass sie vorhersagen können, was sie als nächstes möchten. Sie haben sich diese Dinge angesehen, gelesen oder angehört? Das wird Ihnen vermutlich als nächstes das hier gefallen. Indem die Unternehmen die Daten der Verbraucher auf diese Weise nutzen, werden sie zu Maschinen, die Probleme lösen, Zeit sparen und Aufwand verringern. Und wenn mir jemand Zeit und Mühe erspart und für mich Probleme löst, über die ich zu lange nachdenken müsste, ist ihm meine Sympathie sicher. Der jährliche Spotify-Rückblick “Wrapped” verleiht dieser Personalisierung noch eine zusätzliche spielerische Dimension: Er verrät Ihnen, was Sie im Laufe des Jahres gehört haben, und erstellt aus Basis des Gehörten ein Spiel. Der praktische Nutzen dieser Personalisierung besteht jedoch darin, dass sie die Wünsche der Kunden vorwegnehmen und ihnen geeignete Lösungen für ihre Bedürfnisse anbieten sollte (selbst für vergleichsweise banale Fragen, wie z. B. welche Serie sie als nächstes am Stück sehen sollten). Dabei geht es nicht darum, Fragen zu stellen. Denn Sie kennen den Kunden bereits – das ist der springende Punkt.
Beziehungen aufbauen
Meiner Meinung nach gehört die Kampagne “Share a Coke”, die Ogilvy für Coca-Cola entwickelt und 2011 in Australien veröffentlicht hat, zu den erfolgreichsten, unaufdringlichsten und langlebigsten personalisierten Marketingkampagnen dieser Generation. Zu den am wenigsten diskutierten Aspekten der Kampagne zählt ihr Erfolg hinsichtlich der Bindung der Kunden an die Marke durch das soziale Engagement und den Anstieg der Anzahl der Follower von Coca-Cola in den sozialen Netzwerken (allein im ersten Jahr der Kampagne gewann Coca-Cola zusätzliche 25 Millionen Facebook-Follower). Der Praxistipp: Betrachten Sie die Personalisierung als ein Instrument zum Aufbau von Beziehungen und nicht als Werbekampagne. Wenn Sie mit jemandem auf einer persönlichen Ebene kommunizieren, ist das mehr als nur eine bloße geschäftliche Transaktion, oder? Welches ist das von Ihnen geschaffene Schwungrad der Interaktion, das Sie ab der ersten von Ihnen versendeten personalisierten Kommunikation in Gang setzen? Sie mögen zwar Kampagnen im großen Stil durchführen, doch läuft eine personalisierte Kommunikation eins zu eins ab.
Finden Sie die richtige Balance
Bei der Kommunikation geht es darum, Beziehungen aufzubauen. Beim personalisierten Marketing ist die Grenze zwischen Relevanz und Übergriffigkeit eine Frage der Aufdringlichkeit. Wenn Sie etwas Interessantes mitteilen möchten, sollten Sie eher ein Problem für mich lösen, anstatt mir eine Frage zu stellen. Haben Sie also die Absicht, mich mit einem Angebot anzusprechen, dann plündern Sie bitte nicht meine LinkedIn-Seite.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Fassung auf Forbes veröffentlicht.